In der Kritik: Sterne-Restaurant Pauly Saal

Seit einigen Jahren zieht der hoch durchfensterte Raum an der Auguststraße, weiland Speisesaal einer jüdischen Mädchenschule, die Aufmerksamkeit der hauptstädtischen Gourmets an; stets munkelte man, er arbeite nur knapp unterhalb der Sternegrenze. Wir nehmen in den erstaunlich tiefen, dunkelgrünen und plüschig gepolsterten Bänken zum Mittagstisch Platz und probieren sowohl à la carte als auch die empfohlene dreigängige Speisenfolge für 42 Euro.

Innenansicht Sie hebt an mit einer sensationell rare, gleichwohl knusprig gegrillten Jakobsmuschel, die dergestalt nicht nur ihr aromatisches Wesen voll entfaltet, sondern auch der Verwechslungsgefahr mit Fischigem entgeht: Schon der erste Happen eröffnet einen frappanten Akkord differenzierter Texturen. Das feine Tierteil wird accompagniert von puristischen, nicht ablenkenden Elementen der Marone und Spielarten des Kürbis (Kerne, kleine Fleischsicheln, mehrere Öle und Schäume). Dieses im Grunde klischeehafte Spektrum herbstlicher Farben, Gerüche und Geschmäcker markiert die Referenzpunkte, aus denen sich das hier am Ort vorangebrachte kulinarische Konzept ergibt: Im Mittelpunkt stehen die Gaben der deutschen Landschaften und des Waldes (gern in märkischer oder mecklenburgischer Provenienz, aus dem Barnim oder der Uckermark; wobei hier freilich auch Bach und Fließ zum Wald gehören), worauf auch allerlei augenzwinkernd Jägerliches im Interieur hinweist. Leider ist es quergeschossen mit falsch verstandener Moderne, albernen braunen Glasleuchtkörpern und Pervertierungen des Neuen Berliner Stil, – ganz so, als könne man dem hier zu erwartenden bunten Völkchen eine geradlinige, niveauvolle Rustikalität (noch) nicht zumuten.

Weitgehend ohne ernsthafte Ironie sind hingegen die Gerichte zusammengestellt: Neben Hubertus steht die großmütterliche Hausmannskost Pate, gern aus dem pommerschen oder schlesischen Repertoire. Das Haus hat einen kleinen Ruf erarbeitet wegen seiner selbst eingelegten oder fermentierten, mitunter vorsätzlich hart am Historismus abgeschmeckten Zutaten und Beilagen. Echte Experimente und Überraschungen werden nicht vorgeführt, was aber eben nur aus der engen Perspektive eines zwanghaft innovationsheischenden Verständnisses von haute cuisine als Vorwurf erscheinen kann.

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Leider kann dann der Mittelpunkt des kleinen Menus, der Rehrücken, nicht ganz überzeugen: zart zwar, aber etwas lieblos durchgegart, auf der Zunge wesentlich unspezifisch und mutlos gewürzt. Dafür entschädigt anbei eine kleine Croquette mit schön deftigen Wildrillettes. Zum Nachtisch wird ein sympoetisches Feuerwerk abgebrannt. Hier ist die Produktqualität durchweg erstklassig, das Handwerk virtuos, wenn es auch wiederum über Klassisches nicht hinausgeht: Zitrus- und Holunderaromen, schmausiges Beeren- und Steinobst in allerlei Zubereitsungsarten, Mandelmus, und ein fulminanter Hefeknödel mit üppigem Mohnbesatz.

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Das Personal hinterläßt unterdessen einen zwiespältigen, leicht nervösen Eindruck: Der Sommelier hat sich mit gepflegtem Wiener Akzent selbst literarisch ausgebaut, empfiehlt zum Tafelspitz selbstredend »einen Weißen«, der dann aber, als 20 Mark teure Cabernet-Pfütze im großen Schwenker, unterkomplex (oder eben: überinszeniert) daherkommt. Der Ober mit falschem Siegelring am Finger (als Anspielung des Waidmännischen?) berät und empfiehlt, überschreitet dabei aber den feinen Grat vom scharmanten Aufschwatzen zum allzu Eifrig-Merkantilen. Mindestens hier, bei Form und Noblesse, ist Luft nach oben.
Pauly Saal, Auguststr. 11,10117 Berlin, Tel: 030 33006070Mo bis Sa 12-15, 18-3 Uhr