Obst im Essen

Obst in ursprünglich unschuldiger Form

Obst in ursprünglich unschuldiger Form

Vermutlich darf man wohl doch Hoffnung für die Menschheit haben. Deutschland und Frankreich haben schon ein paar Jahrzehnte lang aufgehört sich mit Kriegen zu überrollen, Schulbildung kommt ohne den Rohrstock aus und sogar in Preußen gibt es inzwischen hier und da vernünftiges Essen.

Man kann sagen, was man will: So mancher Fortschritt scheint tatsächlich in eine sinnvolle Richtung zu gehen. Dass manche Nörgler sich auf vollständig irrelevante Nebensächlichkeiten fokussieren und den Abgesang des Abendlandes an Banalitäten aufhängen, ist also nichts als Unfug.

Doch manchmal verliere auch ich den Glauben, spüre pures Entsetzen beim Blick auf die Teller um mich herum und wünsche mir zu so mancher Gelegenheit einen erziehenden Rohrstock an den Küchentisch. Zum Beispiel wenn ich Toast Hawaii sehe. Liebe Gemeinde, heute spreche ich zu Euch von einer der größten Sünden seit Beginn der Menschheit:

Obst im Essen.

An sich ist gegen Obst nichts zu sagen. Ähnlich wie Busfahrer hat es eine wichtige Rolle in meinem Leben, ist von enormen Nutzen für die Gesellschaft. Trotzdem haben Busfahrer ihren natürlichen Platz in der Welt und parkte ein BVG-Bus, sagen wir mal, in meinem Wohnzimmer: ich wäre wenig erfreut.

Die selben Emotionen durchzucken mich, wenn ich Erdbeeren sehe. In ihrem natürlichen Umfeld, etwa auf einer Sahnetorte, sind sie absolut wundervoll und ich bin unendlich dankbar für ihre Existenz. In etwa, als wäre man gerade betrunken um vier Uhr nachts in Tegel gelandet und sieht in der Ferne etwas Großes und Gelbes anrollen. Reines Glück.

Landet eine Erdbeere jedoch in meinem Abendessen und hat nicht den Anstand, fahrplangerecht bis zum Nachtisch zu warten, fühle mich ein wenig wie Moses, der sein Volk nur für ein paar Stunden alleine lässt, bloß damit es aus heiterem Himmel anfängt, um goldene Kälber herumzutanzen: enttäuscht. Und von Moses wurde nicht auch noch erwartet, die Sünde (in meinen persönlichen Fall einen Spargel-Erbeer-Salat an Mayo-Vinegrette) ohne Schreikrampf zu tolerieren. Zudem hatte der gute alte Israelit wenigstens die wohlige Gewissheit, dass das gemeine Volk 40 Jahre in der Wüste brüten würde.

“Was ist denn falsch an Erdbeer-Spargel Salaten?”, werdet ihr vielleicht fragen. Natürlich ist gar nichts falsch daran. Als abschreckendes Beispiel für junge Köche wäre ein solcher Salat sehr sinnvoll. Als Zwangsernährung in Justizvollzugsanstalten erfüllte er ebenfalls sicherlich seinen Zweck (Ernährung unter Zwang, ohne allzu großen Genuss). Richtig ist daran aber deshalb noch lange nichts.

Penetrante Fruchtzucker-Süße verscheucht jeden Funken Charakter des Gemüses und zeugt davon, dass beim Koch kein Mut zu simplen, reinen Geschmäckern vorhanden ist. Im Wesentlichen finden wir hier das kulinarische Analog zur Musik von David Hasselhoff und Chris Norman: So wenig Anspruch, dass jeder noch so Ungeübte das Produkt konsumieren kann*.

Nein, Obst im Essen ist keine große Gefahr, weder für den Weltfrieden noch für sonstwen. Aber was spricht dagegen, Dinge, die nicht süß sind, auch in diesem Zustand zu konsumieren? Wie wäre es also mal wieder mit einem normalen Salat? Mit ausgeprägter Säure, frischen grünen Blättern und ein wenig Gartenkresse? Vielleicht einem nicht zu milden Essig und einem kräftigen, fruchtigem (!) Olivenöl? Der Gedanke, etwas so Reines und Natürliches mit Pfirsichen und Erdbeeren zu verhunzen, treibt mir die Tränen in die Augen und ich weine auf meine Tastatur.

Ich glaube, ich brauche jetzt zur Ablenkung ein wenig Chris Norman.

 

* Hiermit sollen keineswegs die unschätzbar wertvollen Beiträge, die Hasselhoff und Norman zur deutschen Musikgeschichte geleistet haben, geschmälert oder gar verunglimpft werden, stehen die beiden doch für gefühlsorientierte Persönlichkeitsentfaltung, die Suche nach Freiheit und mitternächtliche Damenbegleitung; allesamt Dinge, die der Autor an dieser Stelle ausdrücklich gut heißen und unterstützen möchte.