Von Erdäpfeln & Grundbirnen

 

Friedrich der Große war zweifelsohne ein Genie, doch auch die weisesten Denker unseres Landes haben ihre schwachen Momente und in einem solchen finden wir unseren Helden.
Schon den ganzen Vor- und Nachmittag hatten Lakaien diverser Couleur bei ihm vorgesprochen: Wissenschaftler, Weltumsegler, Köche und Kleinbauern – alle wollten sie ihn von jenem neuen Gemüse überzeugen, das den fürchterlichen, holperigen Namen Kartoffel zu tragen schien. Ein ungeschickter Bauerntrampel von einem Wort. Kartoffel, das klang nach der rechten Bezeichnung für eine schmerzhafte Beule oder ein Werkzeug, mit dem man frischabgezogene Tierhäute zu Lederlappen gerbt. Friedrich hatte sich anfangs wenig beeindruckt gezeigt.

Doch da der Monarch von schneller Auffassungsgabe war, konnte er bald erkennen, welche verheißungsvolle Chance sich ihm in der unansehnlichen Gestalt der erdigen kleinen Knollen bot.

Ein Ausweg aus der Nahrungskrise schien gefunden. Das Gewächs war robust und eignete sich hervorragend für die sandige Kargheit der Mark Brandenburg, die Gemüse und Menschen nach gleichsam schwer genießbarer Art hervorbrachte.

Auch die Köche hatten ihn weitestgehend überzeugt, obgleich ihr Eifer, die Vielfältigkeit der Kartoffel zu demonstrieren,  ein wenig zu weit ging. Alle fürstlichen Speisen an jenem Tage hatten ausschließlich aus Kartoffeln bestanden und während die Konsistenz den Fürsten stets aufs Neue überrascht hatte, so schienen Bratkartoffeln, Kroketten, Kartoffelpuffer, Mousse au Kartoffel und Consommé de Kartoffel doch alle einen entscheidenden Nachteil miteinander zu teilen: sie ließen sich, sofern man sie nicht stark würzte, in Geschmack und Aroma leider nur als “ungünstig kartofflig” beschreiben.
In seiner Weitsicht hatte Friedrich jedoch schnell begriffen, dass ein Nationalgemüse mit schnöder, einfältiger Geschmacksrichtung vortrefflich zu seinem Volke von Biertölpeln passen würde, deren Gaumen in der Mehrheit kaum geeignet waren, den Unterschied zwischen einer in Trüffelbutter gewendeten Fasanenbrust und dem unteren Ende eines Laternenpfahls auf einem belebten Berliner Trottoir zu schmecken. Und nachdem ihm der Sous-Chef demütig beteuert hatte, dass am Abend wieder sein geliebter Kapaun auf der Speisekarte stünde, war er der Kartoffel sogleich wohlgesonnener und erbat sie sich als Beilage zu der wunderbar kräftigen Soße, die den Kapaun stets liebevoll umschmeichelte.
Nun galt es lediglich noch eine Frage zu klären: Wie sollte er die engstirnigen Hinterwäldler, die zu regieren er gezwungen war, von dieser neuen Errungenschaft der preußischen Küche überzeugen?
Es gab noch keine Werbepsychologen, daher ließ Friedrich die beiden prominentesten und lautesten Marktschreier Berlins zu sich bitten, die tief miteinander verfeindet waren. Am Anfang waren sich diese zwei Marktschreier noch überraschend einig. Man brauche einen neuen Namen. am besten sollte er an ein Obst gemahnen, ohne dabei zu verschleiern, dass Kartoffeln aus der Erde kommen.

Doch hier endete die Einigkeit und bald war eine zornige Debatte über den neuen Namen der Kartoffel zwischen den beiden Marktschreiern entbrannt. Sie wahrten die typische Marktdistanz von etwa fünfzehn Metern im königlich preußischen Audienzsaal und priesen die Kartoffel lauthals in den jeweils favorisierten Namen an. Friedrich solle dann, wenn er sie in Marktschreiermanier brüllen hörte, entscheiden, bei wem der zwei er kaufen würde und welcher Name demnach der Passendere sei. Der eine Marktschreier hatte sich für die Bezeichnung Erdapfel entschieden, der andere für den Namen Grundbirne.
“Knackig frisch! Mit dem Besten aus preußischer Erde!”
“Weich und Zart! Aus dem Grund für Sie geborgen!”
“Delikat geformt, köstlich und weich wie eine Birne!”

“Leckerer Erdapfel! Saftig-Süß!”

„Was soll das seien, ein Erdapfel? Die einzigen Äpfel, die vom Boden kommen, sind Pferdeäpfel und die haben Sie im Kopf, Monsieur! Kaufen Sie Grundbirnen!“

„So? Die einzige Birne, die ich hier ausmachen kann, ist die hässliche Dörrfrucht, die Sie auf ihren Schultern balancieren, Monsieur! Frische Erdäpfel!“
Die Miene unseres Helden verdunkelte sich zusehends. Der Hunger seines eigenen Volkes, die Vormachtstellung gegenüber Frankreich, sein Platz in der stolzen preußischen Geschichte; alles war ihm plötzlich vollständig gleich.
In diesem Moment galt nur eins: Wie diese beiden Idioten loswerden?
Wie sie ohne Skandal beseitigen aus seinem sonst so friedlichen Salon?
Ihre Sprüche wurden beständig lauter und begannen ganz dezent an Wahn zu grenzen.
“Himmlische Versuchung! Nicht mal Eva konnte diesem Apfel widerstehen.”
“Jedes Kind und jede Dirne freut sich an des Grundes Birne”
Gerade als Friedrich der Große gedanklich damit begonnen hatte, das Konzept des Vierteilenes auf weitere Brüche zu verallgemeinern, kehrte seine Genialität zurück und er ersann eine Lösung für das Problem.

 

“Was man nicht haben will, sollte man dorthin verbringen, wo man nicht sein will. Österreich! Ab mit den Zweien in eine Postkutsche, zusammen mit einem schönen Sack Kartoffeln. Als königliches Geschenk für den Kaiserhof. Deportiert sie nach Österreich!”

„Aber Exzellenz!“, rief einer der Minister, „wie soll für dahin die neue Wunderknolle benannt werden?“

„Nennt sie einfach Kartoffel. Mir ist es gleich. Ich möchte nur nie wieder Marktschreier in meinen Amtsräumen sehen!“

 

Und der Wille des Fürsten geschah. Die zwei Marktschreier kamen nach Wien, wo sie sich erst aus dem Augen verloren, doch nach sieben Jahren wieder trafen und herzlich über die Kartoffel-Episode vor dem preußischem Fürsten lachten, später aber entsetzlich darüber stritten, ob ein kleiner Mokka mit Schlagobers besser Einspänner oder doch lieber Fiaker genannt werden sollte. Doch darüber soll an anderer Stelle von ortskundigeren Personen berichtet werden. Der kindische Zwist, ob Kartoffeln nun eher mit Äpfeln oder mit Birnen zu vergleichen seien, hat jedenfalls seit Friedrichs Tagen nie mehr für Uneinigkeit in Preußen gesorgt.